Die zwei Kammern
Eines Tages begegnete ich einer alten Frau.
Ihr Gesicht hatte Furchen, kreuz und quer.
Über ihren Augen zogen sich traurige Linien zusammen,
aber in ihren alten Wangen waren die Grübchen ihres
Lachens geblieben.
Sie schaute mich an und sagte: „In deinem Gesicht ist
lauter Trauer, deine Augen sind ohne Glanz, und dein
Mund ist hart geworden.“
„Ich bin in Trauer“, sagte ich entschuldigend.
Da sagte die alte Frau: „Richte in deinem Herzen zwei
Kammern ein, eine für die Freude und eine für die Trauer.
Kommt die Trauer über dich, dann öffne die Kammer der
Trauer.
Kommt die Freude über dich, dann öffne die Kammer
der Freude.“
Und mit einem Lächeln fügte sie bei:
„Den Toten ist es wohler in den Kammern der Freude.“
Charlotte Knöpfli-Widmer